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Dörken, Heidrun: Willkommen auf der Baustelle

Willkommen auf der Baustelle: Wie funktioniert Radioverkündigung digital?

Heidrun Dörken, Evangelische Senderbeauftragte beim Hessischen Rundfunk

Mitarbeit von Martin Vorländer, Rundfunkbeauftragter der Ev. Kirche in Hessen und Nassau

Was heißt Radioverkündigung?

Bei dieser Baustellen-Besichtigung spreche ich aus der Erfahrung einer Beauftragten eines mittelgroßen Senders, des Hessischen Rundfunks, und im Blick auf digitale Plattformen öffentlich-rechtlicher Sender.

Natürlich werde ich auch von digitaler Verkündigung außerhalb der Sender sprechen, denn dort ist sie hauptsächlich zu finden – (noch) nicht oder nur in Ausnahmen auf den digitalen Plattformen der öffentlich-rechtlichen Sender.

Christinnen und Christen, die meisten Pfarrerinnen oder Pfarrer, verbreiten auf Instagram oder Facebook oder YouTube ihre Beiträge als sogenannte christliche Influencer. Darunter sind durchaus einige Formate klassischer Verkündigung wie Live-Andachten, Gebete, kurze Verkündigungstexte ähnlich wie bei Radio- und Fernsehverkündigung. Bei dieser Tagung sind einige Kolleginnen unter uns, die auf diesen Plattformen unterwegs sind mit Engagement und Erfolg. Ich hoffe, dass sie in Beiträgen und der Diskussion ihre Perspektiven einbringen.

Mein Interesse ist, Verkündigung auch auf die digitalen Plattformen der Sender zu bringen. Wie bei der Radioverkündigung on Air könnten wir dort zu Diensten sein, wo schon viele unterwegs sind. Manchmal wird das in Radio und Fernsehen und dann auch digital als „Huckepack“ bezeichnet. Diese Bezeichnung ist falsch, da ja Verkündigung zu den originären Aufgaben eines öffentlich-rechtlichen Senders gehören. Mit Verkündigung erfüllen sie ihre Aufgaben und transportieren nicht etwa etwas „Fremdes“ mit. Dazu ein Auszug aus dem Gesetz für den Hessischen Rundfunk[i], §3, Absatz 2: “Die Darbietungen (des Hessischen Rundfunks) sollen Nachrichten und Kommentare, Unterhaltung, Bildung und Belehrung, Gottesdienst und Erbauung vermitteln und dem Frieden, der Freiheit und der Völkerverständigung dienen.“ (Einfügung und Hervorhebung H.D.)

Mit Radio- und dann auch Fernsehverkündigung haben wir Erfahrung. 2023 feiern wir 100 Jahre Radio. Das Wort zum Sonntag ist inzwischen 67 Jahre alt und nicht in Rente.

Als 1923 das Radio in Deutschland startete, waren die Kirchen flott dabei. Karfreitag 1924 wurde die erste Morgenfeier aus Frankfurt am Main gesendet. Die kirchlichen Verantwortlichen damals waren Early Adapters, also die, die von Anfang an dabei sind. Seitdem sind die kirchlichen Beiträge eine Erfolgsgeschichte – mit Unterbrechung der Jahre, als die Nazi-Herrschaft Verkündigung im Radio verboten hatte.

Wir erreichen so wöchentlich viele Millionen Menschen mit christlicher Verkündigung. Allein eine Morgenfeier im Bayerischen Rundfunk hören sonntäglich mehrere Hunderttausend Hörerinnen und Hörer. Beim hr ist von Einschaltquoten die schwächste Welle die Kulturwelle hr2, und selbst da hören 20.000 – 40.000 Leute jeden Morgen den Zuspruch. Die hr2 Morgenfeier sonntags gehört zu den Sendungen des Tages mit dem meisten Zuspruch. Bis zu 300.000 Personen hören täglich die Verkündigungsbeiträge in den Service-Wellen hr3 und hr4. Es lohnt also jede Sorgfalt, Mühe und Vorbereitung, die wir in diese kurzen und auch langen Formate und Gottesdienstübertragungen stecken.

Ich erwähne die Zahlen, weil es fahrlässig und schlimm wäre, hier abzubauen, weil wir uns jetzt auch um Digitales zu kümmern haben. Es wird noch lange dauern oder vielleicht nie möglich sein, diese Zahlen digital zu generieren.

Allen kirchlichen Leitungsgremien ist dringend zu raten, die Kapazitäten rund um Verkündigung in Radio, Fernsehen und digital personell und finanziell auszubauen. Nirgends sonst werden in Deutschland so viele Menschen mit Verkündigung erreicht mit vergleichsweise kleinem Einsatz an Personal und Geld. Es liegt mir fern, Verkündigung in der Ortsgemeinde und Verkündigung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gegeneinander auszuspielen. Doch sollten sich Synode und Kirchenleitungen bewusst werden, in welchem Maß hier Menschen mit Gottesdienst und christlicher Botschaft erreicht werden, damit sie ihre Entscheidungen dementsprechend treffen.

Warum ist digitale Verkündigung eine Baustelle?

Alle wissen: Auch an fertigen Häusern ist immer was zu tun. Das Leben ist selbst eine Baustelle. Doch bei der Verkündigung auf den Plattformen der Sender sind wir noch weit vor der Baugenehmigung und vor der Ausschachtung. Es steht erst recht kein Rohbau. Das Richtfest ist nicht in Sicht. Dabei haben wir viel Werkzeug zur Hand und auch Pläne. Viel Kompetenz aus der Radio- und Fernseharbeit ist auch im Digitalen nötig und übertragbar: journalistisches Handwerkszeug und homiletisch-liturgische Kenntnisse, die Lust an Verkündigung sowieso.

Zum Glück gilt auch digital: Radio will never die. Das Video hat den Radiostar nicht gekillt. Im Gegenteil: Durchs Digitale erlebt Audio eine Renaissance. Erfolgreiche Podcasterinnen können davon erzählen. Johanna Haberer und Sabine Rückert gehören dazu mit dem Zeit-Podcast „Unter Pfarrerstöchtern“[ii].

Der Ist-Zustand der digitalen Verkündigung bei den öffentlich-rechtlichen Sendern

Zur digitalen Verkündigung bei den öffentlich-rechtlichen Sendern gibt es noch keine umfassende Strategie und keine verbindlich vereinbarten Handlungsschritte. Es gibt zurzeit weder eine Finanzierung, noch sind die Bauleute eingestellt oder angeheuert worden. Darüber hinaus steht die juristische Klärung aus.

Sie wissen womöglich: Durch Rundfunkstaatsverträge und Rundfunkgesetze haben religiöse Gemeinschaften, soweit sie als Körperschaften öffentlichen Rechts organisiert sind, das Drittsenderecht[iii]. Zurzeit nehmen Christentum und Judentum das wahr. Inwieweit sich das Drittsenderecht auch auf digitale Verbreitung der Sender erstreckt, wird zurzeit juristisch geprüft. Die Position von Macherinnen und Machern ist klar: Es kann nicht sein, dass die Sender immer digitaler werden und womöglich eines Tages die terrestrische Verbreitung abschalten, aber auf den entstehenden digitalen Plattformen keine Verkündigung mehr ist.

Unter uns sind viele, die von Anfang an gute Ideen hatten und sich engagieren. Doch die Kirchen sind diesmal keine Early Adapters. Dass die Sender digital werden, steht schon länger fest. Schon bevor Funk 2014 beschlossen wurde, der digitale Jugendsender von ARD und ZDF und 2016 gestartet ist, wissen wir, dass nicht nur die jüngere Generation sich Infos und Unterhaltung zunehmend digital holt. Anders als die Reformation mit dem Medium Buchdruck und anders als beim Radio 1923 sind die Kirchen nicht gleich dabei. Schon gar nicht haben sie bisher die nötigen Versuche mit entsprechenden Mitteln ausgestattet.

Das ist bedauerlich. Auch wenn wir wissen, dass die Sender selbst noch am Bauen sind. Sie sagen zwar inzwischen alle: Digital first. Sie sind aber selbst noch dabei, Trimedialität aufzubauen. Sie sind noch im Stadium Versuch und Irrtum. Aber trotzdem viel weiter als ihre kirchlichen Partnerinnen und Partner.

Beispiele digitaler Verkündigung im Kontext öffentlich-rechtlicher Sender

Wenn wir schauen, was an Verkündigung schon auf den Plattformen der Sender ist, sind wir schnell fertig. Nur in einem Sender, auf NDR 1, gibt es ein (Stand Juni 2021) ein erfolgreiches Format: „Mensch Margot!“ – Podcast und Video des NDR und der evangelischen Kirchen im NDR, ein Beispiel, Pfingsten, hier:

Video: https://www.ndr.de/ndr1niedersachsen/Pfingsten-das-unterschaetzte-Fest,menschmargot168.html

Audio: https://www.ndr.de/ndr1niedersachsen/Pfingsten-unterschaetzte-Fest,audio887400.html

„Mensch Margot!“ hat auf allen Plattformen zusammengenommen ungefähr 16.000 Nutzer pro Folge. Das ist sehr anständig, aber immer noch weniger als ein hr2 Zuspruch.

Das Format arbeitet mit einem der drei Faktoren, die einzeln oder zusammengenommen zu einem gelungenen digitalen Format gehören.

Der erste Faktor: eine Person, die zieht. Das kann Prominenz sein in irgendeiner Beziehung. Was Margot Käßmann gelingt, wird gewiss nicht jeder Bischöfin oder jedem Bischof gelingen. Dieses Format arbeitet mit Faktor 1, weniger mit den beiden folgenden Faktoren 2 und 3.

Ebenfalls wichtig ist der zweite Faktor: eine ganz spezifische Zielgruppe. Man kann es nicht oft genug sagen, sie kann gern klein gefasst sein.

Der dritte Faktor: ein spezielles Thema in einer bestimmten Zeit. Vergleiche zu Corona-Zeiten der Podcast des Virologen Christian Drosten und seinen Erfolg.

Leicht kann man sich denken, dass ein Angebot, das mehrere Faktoren einbezieht, Menschen in größerer Zahl erreichen wird.

Zum dritten Faktor, dem speziellen Thema zu einer bestimmten Zeit, ist ein Beispiel auf www.kirche-im-hr.de das „Corona-Gebet“: https://www.kirche-im-hr.de/aktuelles/2020/gebet-in-der-corona-krise/

Zu einer bestimmten Zeit und wenn man schnell ist, kann sogar eine Bleiwüste relativ erfolgreich sein. Sofort am ersten Tag des ersten Lockdowns im März 2020 haben wir hier Gebete eingestellt für die Corona-Krise. Das ist optisch überhaupt nicht attraktiv. Weil wir so früh dran waren, hat es sich rumgesprochen. Zeitweise haben täglich mehr als 1.000 Leute das Gebet von dieser doch bundesweit wenig prominenten Seite abgerufen. Bis heute klicken sie jeden Tag über 200 Menschen an, flankiert von einem wöchentlichen Video der katholischen Senderbeauftragten, die zu den Glocken der evangelischen Kirche gegenüber ihres Balkons wöchentlich ein Corona-Gebet aufnimmt.

Weitere Formate im Umfeld von Radioarbeit gibt es kaum. Der Erfolg ist kaum messbar und wird auch nicht gemessen. Außer im NDR hat es noch keine/r mit einem Format auf eine öffentlich-rechtliche Seite geschafft. Zugriffszahlen sind selten bekannt. Ein Podcast aus dem Medienhaus der EKHN, „Pfarrer & Nerd“[iv], kostet die Kollegen ungefähr einen Arbeitstag pro Folge und jede Folge hören im Schnitt 150 Menschen. So ist es, wenn man nicht wie im Radio oder Fernsehen im Fließprogramm dabei ist, sondern sich jede Hörerin selbst holen muss, die den Podcast findet, aktiv anklickt und dabeibleibt.

Wie es nicht funktioniert, zeigt der Beitrag der evangelischen und katholischen Kirchen in der ARD Audiothek (Stand Juni 2021). Als die ARD Audiothek startete, sagten wir: Da machen wir mit und schicken „the best of“, unsere besten Verkündigungsbeiträge. Einige sehr gute Radioautorinnen und -autoren machen seit einigen Jahren jeden Sonntag für die Audiothek die Rubrik „Gedanken“. Das sind richtig gute Beiträge. Doch es funktioniert überhaupt nicht. Keiner der drei Faktoren wird berücksichtigt. Die Folge: Es sind kaum messbare Zugriffszahlen, die Rubrik ist kaum auffindbar. Wir sind schlechter als eine Nische. Zum Ende des Jahres 2021 lassen wir das, denn es ist auch viel Aufwand. Die Suche nach einem neuen Format hat begonnen. Warum das so schwer ist, dazu im Folgenden mehr.

Kirchenleitende Entscheidungen sind nötig: Was lassen wir, wo investieren wir?

Zwar entsteht noch keine gute digitale Verkündigung dadurch, dass entsprechende kirchliche Strukturen und Ausstattung vorhanden ist. Doch wahr ist: Es funktioniert nicht, wenn es sie nicht gibt. Pilotbeiträge zu entwickeln, zum Beispiel für die ARD-Audiothek ist zurzeit ein Hobby in der Freizeit der Beauftragten – niemand hat dafür Kapazitäten.

Es ist hier kirchenleitendes Handeln gefragt. Hier müssen wir investieren – jetzt und für die Zukunft. Leider ist oft sogar das Gegenteil der Fall. Die Kolleginnen und Kollegen, die digital auf Instagram usw. unterwegs sind, machen das fast immer nebenher, bekommen kaum eine Aufgabe ihrer sonstigen Agenda abgenommen. Nicht wenige haben im Pfarramt mit mangelnder Kollegialität und Unterstützung zu kämpfen: „Die hat ja Zeit, sich schön darzustellen – soll sie sich lieber um das oder jenes in der Gemeinde oder im Dekanat kümmern“. Ich kenne Kolleginnen und Kollegen, die kaum noch etwas posten, weil sie nicht dazu kommen in der Gemeinde, obwohl sie außerordentlich begabt und erfolgreich sind.

Behinderungen durch den Konflikt Ortsgemeinde – mediales Engagement gibt es natürlich auch in Radio und Fernsehen. Ich habe im Lockdown Karfreitag 2021 erlebt, dass eine hessische Gemeinde den Radiogottesdienst für 350.000 Mitfeiernde kurzfristig abgelehnt hat. Zu Pandemie-Zeiten hatten wir zusätzlich zu den Mitwirkenden am Gottesdienst keine Gemeinde in der Kirche erlauben können. Es hätte 37 in diesem Raum erlaubte Gemeindemitglieder betroffen. Der Kirchenvorstand hat jedoch beschlossen, dass diese 37 nicht zugunsten der 350.000 dieses Opfer bringen sollen. Mein Kirchturm first.

Wie kommen sogenannte Kerngemeinden und Synodenvertreter und -vertreterinnen, die vor allem deren Sicht vehement vertreten, sich allein für das Gottesvolk zu halten? Wer und was eigentlich Gemeinde ist, muss in digitalen Zeiten neu praktisch-theologisch begründet werden. PD Pfrn. Dr. Heike Springhart aus Pforzheim ist eine der Kolleginnen, die dazu forschen und nachdenken[v].

Was geschieht, wenn zugegebenermaßen ein vermögender Kirchenkreis (Zürich) Geld in die Hand nimmt und eine Online-Community gründet, kann man bei www.reflab.ch besichtigen. Sie haben dafür 10 Leute eingestellt.

Fazit: Ohne kirchenleitende, theologisch fundierte Entscheidungen und ohne Geld bzw. Personal für die Umsetzung geht es nicht.

Beschleuniger Pandemie

Viele haben seit der Pandemie auch notgedrungen experimentiert. Dazu im Folgenden wenige Beispiele.

Die ersten beiden Beispiele sind Ostern im ersten Lockdown 2020 entstanden, als die Kirchen ganz geschlossen waren. Beide Beiträge teilen sich inzwischen den Gottesdienstpreis 2021[vi].

Der Beitrag aus Flensburg hat eine kleine Kontroverse entfacht, was an diesem künstlerischen, digitalen Format gottesdienstlich ist. Leider kann ich hier nicht weiter darauf eingehen. Ich finde beide Beiträge auf ihre Art sehr gelungen, 6.1. spricht offenbar den Zugriffszahlen nach auch Menschen an, die sonst keine Verkündigung anklicken.

Als Beispiel von vielen, die in der Pandemie auf ihren Kanälen Live-Andacht feiern, steht hier „Seligkeitsdinge“, Josephine Teske, Pastorin der Nordkirche. Sie gestaltet sogar eine Website, mit der Kinder und Erwachsene selbst zu Hause Andacht feiern können zu Zeiten, die ihnen passen. Live-Andachten wie das Beispiel hat sie z.B. in der Passionszeit jeden Abend gefeiert. Live waren je Andacht rund 700 Leute dabei, später geschaut haben jedes Video zwischen 5.000 und 7.000 Menschen (Stand Juni 2021). Hier bilden sich Anfänge von digitalen Gemeinden, auch mit Rückkanal, eigenen Gebeten der Mitfeiernden, Seelsorge und mehr.

  • Martin Vorländer „Der Sonnenaufgang, Frau Ginger und ich“

Erstes Video zu Beginn des Lockdowns 23. März 2020: https://www.facebook.com/100005309626625/posts/1413287125524928/?d=n

Ostermorgen 2021: https://www.facebook.com/100005309626625/posts/1729451573908480/?d=n

Das erste Mal ohne Ginger: https://www.facebook.com/100005309626625/videos/1756608864526084

Das erstes noch verwackelte Handyvideo aus dem März 2020 hat Martin Vorländer auf Facebook und Instagram eingestellt, um der Ohnmacht und dem Schrecken der Pandemie allmorgendlich mit dem geistlichen Schatz zu begegnen, der Christinnen und Christen geschenkt ist. Jeden Morgen hat er exakt zum Sonnenaufgang einen Beitrag gemacht. Ein Ostern weiter, 2021, schauen dann schon 2.000 Leute zu, wenn Martin zusammen mit Hündin Ginger Sonnenaufgangsreporter ist. Das dritte Beispiel zeigt Pfarrer Vorländer allein. Hündin Ginger, die von Anfang an dabei war, ist gestorben. Die Community, die über Monate entstanden ist, hält Trauer und Tränen darüber aus, was die vielen Reaktionen zeigen. Gleichzeitig ist es ein Beispiel, wie persönlich digitale Formate sind, wohl auch sein müssen. Ein Thema für praktisch-theologische Untersuchungen wird sein, wo die Grenze zwischen persönlich und privat ist. Sie ist bereits ein Thema der Homiletik, stellt sich in diesen Formaten jedoch noch einmal neu.

Digitale Verkündigung braucht eigene Formate

Es ist hoffentlich deutlich geworden, dass digitale Verkündigung eigene Formate braucht, die sich in der Form an der jeweiligen Plattform orientieren. Facebook und Instagram sind schon Welten, die kaum dieselbe Form tolerieren. Auf keinen Fall reicht „Zusammengekehrtes“ aus Radio und Fernsehen, wie wir am Beispiel der ARD Audiothek gesehen haben. So gut es sonst ist und auf dem ursprünglichen Ausspielweg läuft!

Andererseits kann digitale Verkündigung sehr viel journalistisch-homiletisch von den Erfahrungen in Radio und Fernsehen lernen. Deshalb zum Schluss 10 Regeln fürs Teilen von Glauben im Netz von Martin Vorländer (gekürzt von Heidrun Dörken, ausführlich werden sie hier erscheinen[vii]).

10 Radioregeln, die auch im Digitalen funktionieren

  1. Hören: Wer über das spricht, was ihn und sie bewegt, wird auch andere rühren. Was liegt gerade an? Was bewegt mich?
  2. Klären: Sage, was dich bewegt, aber nicht alles auf einmal! Ein Bild, nicht das Museum. Kill your Darlings!
  3. Präzisieren: Sag mir von Anfang an, worüber du sprichst. Beim drauflos Plaudern und Quasseln geht der rote Faden verloren und auch das Interesse.
  4. Denken: Habe ein Konzept im Kopf – und sei offen für das, was passiert. Du erzählst, wie gut dir die Ruhe am Abend tut, in diesem Moment donnert draußen ein LKW vorbei. Denke in der Video-Machart „quick and dirty“.
  5. Ordnen: Das ist keine Lizenz zum Schlampig-Sein. Du hast eine Verantwortung für die Community. Man spürt, ob etwas sorgfältig durchdacht und liebevoll gemacht ist. Das schließt ein, dass man sich technisch aufrüstet und ausprobiert, welches Gerät, Stativ, GIF, welche Animation, welcher Story-Effekt am besten ausdrückt, was man sagen will.
  6. Wahrnehmen: Alles predigt mit. Beim Audio die Stimme, beim Video das Muster des Hemdes und der Baum im Hintergrund. Achtung, keine Text-Bild-Schere machen. (Bewegte) Bilder wirken stärker als Worte.
  7. Fühlen: Du bietest dich als Projektionsfläche an – wie immer, wenn sich jemand exponiert, auf der Kanzel wie auf YouTube. Andere sehen in dir etwas, das viel mehr über sie selbst sagt als über dich. Damit muss man umgehen. Digitale Selbstinszenierung kann zu Leibe rücken: ein Morgen-Post mit verwuschelten Haaren noch aus den Wogen der Bettdecke, ein Zahnputz-Gebet mit nacktem Männeroberkörper vor dem Spiegel im Badezimmer, an einem regnerischen Tag mit Backblech durch die Küche tanzen. Die einen sind begeistert, den anderen ist das zu intim.
  8. Riskieren: Glaube, Hoffnung, Liebe gehen ans Eingemachte. Sie berühren die Stellen der Seele, die verletzlich sind oder verletzt wurden. Sie rufen Gefühle und Erlebnisse wach. Auf das Gelassenheitsgebet von Reinhold Niebuhr – „Gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann“ – schreibt jemand: Dieser Sinnspruch hat mich schon immer in den Wahnsinn der Entscheidungslosigkeit getrieben. Das Zitat aus Bonhoeffers „Von guten Mächten“ kommentiert eine andere: Den bitteren Kelch dankbar aus Gottes Hand nehmen? Tut mir leid. Da komme ich nicht mit.
  9. Arbeiten: Posten ist nur das eine. Reagieren, austauschen, antworten auf das, was andere beitragen, Verbindungen pflegen, sich beteiligen an dem, was andere posten gehört wesentlich dazu. Es braucht Zeit und innere Kraft, sich darauf einzulassen. Bei aller Freude daran: Es ist Arbeit.
  10. Reduzieren: Die Bibel und der christliche Glaube sind riesige Schatz- und Vorratskammern an Inspiration, Trost, Hoffnung. Mach dich von dem Wunsch frei, alle quer durch alle Altersgruppen und Lebensstile erreichen zu wollen. Man findet seine Community. Natürlich bewegt man sich in einer Blase von Menschen, die ähnlich ticken. Aber das ist so im digitalen Leben wie im analogen.

 

[i] https://www.hr.de/unternehmen/rechtliche-grundlagen/das-hr-gesetz,hr-gesetz-100.html

[ii] https://www.zeit.de/serie/unter-pfarrerstoechtern

[iii] https://rundfunk.evangelisch.de/wir-ueber-uns/rechtliche-grundlagen-der-rundfunkarbeit

[iv] https://www.indeon.de/glaube/podcast-pfarrer-und-nerd

[v] https://heike.springhart.de/

[vi] https://www.gottesdienststiftung.de/

[vii] Gekürzter Auszug aus einem Aufsatz von Martin Vorländer, der in einem Sammelband Ende 2021 unter dem Titel publiziert werden soll: „Versuch und Irrtum: Relevanz, Resonanz und Reichweite der Verkündigung in den Sozialen Medien“.

Müller-Hansen, Melitta: Kammerspiele

Geister-Gottesdienste? „Kammerspiele“! – Fernsehgottesdienste ohne Präsenz-Gemeinde

Melitta Müller-Hansen, Beauftragte der ELKB für Hörfunk und Fernsehen beim BR

1. Begrifflichkeiten

Bis vor kurzem waren Geister Filmen und Büchern über paranormale Phänomene vorbehalten. Mit der Coronapandemie erlebten die „Geister“ eine interessante Mutation. Von „Geisterveranstaltungen, Geisterkonzerten, Geisterspielen, Geistergottesdiensten“ war plötzlich die Rede. Ich bin diesem Begriff – vor allem dem „Geistergottesdienst“ – von Anfang an skeptisch gegenüber gestanden. Im Medium Fernsehen, das ich hier besonders im Blick habe, kann man erstens immer nur von einer abgebildeten Präsenz einer kleinen Gruppe sprechen, die sich zeitlich und räumlich gleichzeitig mit Liturg*innen, Prediger*innen, Musiker*innen in einem Kirchenraum befindet. Die nicht sichtbare Gegenwart eines viel größeren Auditoriums, das eine Live Übertragung verfolgt, einen Gottesdienst mitfeiert, ist immer schon gegeben und gehört nicht ins Reich des Geisterhaften. Warum er plötzlich aufgetaucht ist, dieser Begriff, sobald die kleinere Gruppe nicht mehr sichtbar wurde? War es nicht immer klar, dass da Tausende und Abertausende, über eine Million andere präsent sind? Reale Menschen, keine Geister?

Was also genau haben wir gefeiert und im Fernsehen übertragen seit dem 22.03.2020?  Was für eine Gemeinde hat sich da zum Gottesdienst versammelt? Was ist Gemeinde?  Theologisch ist es doch klar, dass „Gemeinde“ mehr ist, als die Menschen, die sich im Gottesdienst sehen.

  1. Sie ist grundsätzlich überzeitlich und überräumlich gedacht.
  2. Konstituiert sich durch die gemeinsame Ausrichtung auf das Wort Gottes, entsprechend der Torgauer Formel von Martin Luther, dass im Gottesdienst nichts anderes geschehe, als Kommunikation des Wortes Gottes und Antwort der Gemeinde – also ein dialogisches Geschehen im Machtfeld des Heiligen.
  3. Gibt es eine Gemeinde „erster und zweiter Klasse“– also die Gemeinde vor Ort als eigentliche Gemeinde und die anderen, die von Ferne zuhören sind quasi nur Zaungäste?
  4. Und dann kommt noch die Frage der Gleichzeitigkeit dazu. Mit Podcasts, youtube, Mediatheken verändert sich die Nutzung im Sinne einer Individualisierung: ich schaue/höre mir den Gottesdienst oder eine andere Sendung dann an, wenn es für mich passt. Zeitgleichheit der Teilhabe ist auch nicht gegeben und doch feiert auch dieser „Nutzer“ einen Gottesdienst mit.

Daraus ergeben sich zentrale Fragen der Gestaltung und des Verständnisses eines Gottesdienstes ohne Präsenzgemeinde.

Ich habe statt Geisterveranstaltung einen anderen Begriff dafür gewählt: der Gottesdienst als Kammerspiel. In der darstellenden Kunst ist das ein Schauspiel im intimen Rahmen, meist mit wenigen Schauspielern auf der Bühne, ohne Statisterie oder großen Dekorationsaufwand.

  • kleine Besetzung: 1 Liturg*in und Prediger*in, 1 Sprecher*in, ein Vokalensemble, 1Organsit*in. Keine Inflation von Talarträger*innen!
  • thematische Reduktion/Konzentration; der Fokus liegt auf Inhalt, der von der Situation der FernsehGemeinde geprägt ist. Einbettung im Kirchenjahr, im Proprium des Sonntags.
  • Reduktion auch der Übertragungstechnik, veränderte Bildregie
  • Erhöhte Unmittelbarkeit: Stimme und Sprechen verändert sich, eindeutige Ausrichtung auf mediale Gemeinde durch Kamerablick– weg von Hybridsituation, die die im Kirchenraum präsente Gemeinde und die Gemeinde daheim ansprechen soll und oft in einen Zwiespalt führt…„Paradoxerweise befördert die „beobachtete“ versammelte Gemeinde vor Ort das Gefühl des nicht nur leiblich, sondern überhaupt vorhandenen Ausgeschlossenseins, Zaungäste zu sein.“ (aus: Impulsreferat für den Rundfunkausschuss der EKKW/EKHN am  21.10.2020,  Pfarrerin PD Dr. Heike Springhart)
  • Interferenz der Räume – ich bin Gast in einer Kirche, der Gottesdienst findet bei mir zu Hause statt, in meinem Wohnzimmer. Eine Geist – keine Geister-Veranstaltung!!

Ich denke an die Dreifaltigkeits-Ikone von Andrej Rubljow. Sie trägt den Namen „Gastfreundschaft Gottes“. Abraham bewirtet drei Fremde – und dabei werden sie selbst auf geheimnisvolle Weise zu Gastgebern.  Auf Rubeljews Ikone nehmen die drei nur die Stirnseite und die linke und rechte Seite des Tisches ein. Der vierte Platz ist leer und frei. Die Betrachter*in selbst ist eingeladen, an der göttlichen Tischgemeinschaft Teil zuhaben. Gott und Mensch an einem Tisch vereint. Wir Menschen sind keine Zuschauer; wir gehören hinein in die Liebesgemeinschaft und das Liebesspiel des dreieinigen Gottes. Das ist vielleicht im Idealfall die Wirkung eines solchen Fernsehformats „Gottesdienst als Kammerspiel“.

Zentral bleibt dabei die Frage

  • der Teilhabe.
  • wie inszeniert man das Dialogische und die Resonanz, wenn Gottesdienst Kommunikation, Wort und Antwort ist?
  • Wie ist Interaktion möglich, Beteiligung am Gottesdienstgeschehen?

Die Digitalisierung hat Optionen, die schon da waren, stark gemacht und zum Teil erweitert. Ich will das zeigen am Praxisbeispiel des ersten Corona-Gottesdienstes im BR Fernsehen, in dem wir manches realisieren konnten.

2. Der erste „Corona“-Gottesdienst im BR Fernsehen – ein Praxisbeispiel

  1. Entstehungsbedingungen und Konzeption

Die Entscheidung für eine höhere Frequenz von Gottesdienstübertragungen in den Rundfunkanstalten der ARD ist am Dienstag, 17. März 2020. gefallen. Für den ersten Sonntag, 22.März 2020 haben drei Sender eine eigene Übertragung möglich gemacht: SWR, rbb und BR. Dass im BR der erste dann ein evangelischer wurde und erst der zweite am 30.03. ein katholischer mit Kardinal Marx, war dem Umstand geschuldet, dass das ZDF einen katholischen Gottesdienst übertrug an diesem Sonntag.

Es war also innerhalb von 4 Tagen ein Gottesdienstraum, ein Konzept, eine Kirchenmusiker*in mit Musikensemble, ein Sprecher zu organisieren. Die Entscheidung, dass ich als Rundfunkbeauftragte vor die Kamera gegangen bin, war zunächst schlicht eine arbeitsökonomische: ich hatte schon eine fertige Morgenfeier, also ein Radiomanuskript auf dem Tisch, mit dem ich am Mittwoch Nachmittag ins Studio gehen konnte. Daraus ließ sich leicht ein Gottesdienstkonzept erstellen.

Die erste wichtige inhaltliche Entscheidung ergab sich aus einem Gespräch mit meinem ARD-Kollegen Stephan Born: Lass die Menschen zu Wort kommen.

Aus Reaktionen auf facebook zu „Wort zum Sonntag“ Sendungen habe ich Voten ausgesucht und zusätzlich Menschen gezielt darum gebeten. So wurde die existenzielle Situation einzelner exemplarisch hörbar – ein durchgehend roter Faden innerhalb der ganzen Liturgie. Es hat sich eine Beteiligung der „Gemeinde“ ergeben – ein Profisprecher vom BR, Friedrich Schloffer, hat ihnen eine Stimme gegeben.

Das war die zweite wichtige Entscheidung: neben der Amtsperson – für Liturgie und Predigt – gibt es eine zweite Person als Lektor und Sprecher der existenziellen Texte. Bekannte Choräle und geistliche Lieder, die zu Hause zum Mitsingen animieren, waren uns wichtig. Beteiligung der Gemeinde auch auf dieser Ebene – digitales Liedblatt von Ch. Breit hat sich seither total bewährt.

  1. Liturgisches Konzept
  • Befiehl du deine Wege, Str. 1
  • Eröffnung
  • Befiehl du deine Wege, Str. 6+12
  • „Mensch vor Gott“: 4 Menschen kommen zu Wort, Psalmvers gibt jedem eine poetische Sprache, führt ins Gebet; dann Liedruf „Schweige und höre“…
    • Hanna, vor kurzem pensioniert – Ich kann gut allein sein, aber den ganzen Tag, viele Tage, ohne Familie?
    • Markus arbeitet im Einzelhandel an der Kasse – Arbeitssituation
    • Josef ist Landwirt und Papa einer kleinen Tochter. „Ich hab Angst, jemanden aus meinem Bekanntenkreis zu verlieren.
    • Claudia ist Studentenseelsorgerin und Mutter von vier Kindern. „Ich stehe unter Corona-Strom und abends bin ich todmüde“ „Mama, irgendwie fühl ich mich eingesperrt“…
  • Morgengebet D. Bonhoeffer
  • Evangelienlesung: Joh 16, 22 ff
  • „Wirf dein Anliegen auf den Herrn“, Mendelssohn
  • Ansprache Teil 1: Der abhängige Mensch (Jes 66 Trostbild von Mutter und Säugling)
  • Orgel, Musikstück aus „Forest Gump“
  • Ansprache Teil 2: Die Muttersprache des Glaubens
  • Choral: Wer nur den lieben Gott lässt walten
  • Ansprache Teil 3
  • Ansprache Teil 3: Wie tröstet eine Mutter ihren erwachsenen Sohn?
  • „Largo“ aus dem Klavierkonzert BWV 1056 von J.S. Bach (Orgel)
  • Fürbitten – von der Plattform bayern-evangelisch.de mit Anzünden von Kerzen auf Altar
  • Liedruf Kyrie + Meine Hoffnung und meine Freude
  • Lied „Ich sing dir mein Lied“
  • Segen
  • Orgelmusik zum Ausklang
  1. Resonanz

Es gab eine überwältigende Resonanz auf diesen Gottesdienst. Etwa  500 Emails, darüber hinaus Briefe, Postkarten.

Inhaltliche Kategorien:

  • Reduziertheit der Mittel

Er hat mich sehr berührt in seiner Reduziertheit auf die Bibel, Gebete, Lieder, Worte und Orgelspiel. Alles war so stimmig. Danke an alle Mitwirkenden

Beim Gottesdienst habe ich gedacht: Wahnsinn! So muss es sein: Die Texte des Sprechers geben aktuelle Situationen treffend wieder und sind so ausgesucht, dass man sich darin wiederfinden kann und dann kommt ein Wort der Psalmen, das einem das Gefühl gibt: Da ist einer, „Gott“ der mich verstehen wird, der mir nicht ohne Grund seine Nähe verspricht.

  • Bildsprache

Der Sonntag war gerettet. Wenn sonst bei einem TV-Gottesdienst die Augen und die Gedanken schnell abschweifen, wenn die Kamera mal in die Gemeinde, mal auf den oder die Predigerin einschwenkt; oder auf den Chor, oder auf die Orgel, oder auf ein Kunstwerk in der Kirche oder auf ein Schattenspiel der Sonnenstrahlen, die mühsam in das Kirchenschiff fallen – diesmal war es anders: Die Konzentration auf das gesprochene und gesungene Wort,  die sparsamen und feinen Bewegungen der Liturgin, des Lektors, der 4 Sänger; die einfühlsame, zurückhaltende Korrespondenz mit der Orgel – die „Dramaturgie“ des Gottesdienstes war wirklich großartig. Fast ein Wendepunkt in der Gestaltung von Fernsehgottesdiensten.

„Auch das Ambiente habe ich überhaupt nicht als „leer“ empfunden. Die Kameraführung war so geschickt, dass ich den Gottesdienst nicht defizitär erlebte, sondern eher meditativ.“

  • Raum und fehlende Präsenzgemeinde

Der asketische Raum der Markuskirche, die ruhige Kameraführung, das kleine Vokalensemble, Präsenz und Unaufgeregtheit der Pfarrerin…

Dass keine Gottesdienstbesucher da waren, fand ich zwar ungewohnt, aber evtl. sogar geeignet, sich noch mehr auf die Inhalte zu konzentrieren. Also sehr gerne weitere Gottesdienste in dieser Form.

Sehr geehrte Damen und Herren, in der Regel sehen und hören wir gar keinen Gottesdienst in den Medien zuende; man nimmt nur wahr, wie sich eine Gemeinde vorstellt. Aber diesen Gottesdienst haben wir vollständig mitgefeiert, nicht nur deshalb, weil es jetzt nicht anders möglich ist. Man sollte darüber nachdenken, ob Übertragungen von Gottesdiensten in der Regel überhaupt nur darauf ausgerichtet sein sollten, Gemeinschaft mit den Zuschauern zu suchen – und nicht einen Gemeindegottesdienst vorführen. z.B. sollte dabei nie Abendmahl/Kommunion vollzogen werden. (Ehepaar AUS BERLIN)

…tolles Vokalquartett (die Liedauswahl gelungen! Ich konnte als Chor-Bass mitsingen), unglaublich intensiver und klarer Sprecher (Lektor) – Wer hat die Texte gestaltet?; Orgel und Organist 1A ….Meine Frau und ich haben selten einen so intensiven, berührenden Gottesdienst erlebt. Und das ohne Gottesdienstgemeinde in der Kirche…

  • Emotionen

Menschen haben geschrieben, dass sie geweint haben und dass das so gutgetan hat. Die Frauenordination wurde der katholischen Kirche empfohlen.

  • Reaktion der Rundfunkanstalt

Ich selbst bin seit heute viel weniger skeptisch, was unsere Arbeit in und mit den Fernseh-Gottesdiensten betrifft. Das ist das Brot, von dem viele Menschen in den nächsten Wochen leben werden. (Redaktionsleiter Tilmann Kleinjung)

Es gab drei negative Rückmeldungen: zu düster, zu schwarz, zu distanziert.

  • Wie hat Rundfunkanstalt reagiert? – Produktionsbedingungen

Die Gottesdienste in den regionalen Programmen sind im gesamten deutschen Sprachraum und gestreamt weltweit erreichbar und wurden in der Zeit des Lockdown auch innerhalb der ARD-Landschaft von Sendern gegenseitig übernommen. Der BR Gottesdienst am 22.3. wurde auch im WDR übertragen und hatte gut 400.000 „Gemeindeglieder“. Drei weitere Gottesdienste zum Thema „Hoffnung“, „Allein- und einsam sein“, „Schmerz“ haben wir zusätzlich zu den im BR geplanten evangelischen Gottesdiensten übertragen. Ungefähr gleichviele katholische hat der BR zusätzlich zu den geplanten übertragen. D.h: die Relevanz und Anzahl der Gottesdienstübertragungen ist im BR und in der gesamten ARD-Landschaft in der Corona-Zeit enorm gestiegen. Die Senderanstalten selbst hatten ein Eigeninteresse an Gottesdienstübertragungen. Die gestiegenen Quoten waren eine Bestätigung. Im BR haben wir es mindestens mit einer Verdoppelung bis Verdreifachung der Quote zu tun gehabt.

  • Was die Gestaltung anbelangt:

Von Senderseite haben wir zweimal ohne Präsenz einer Regisseur+in gearbeitet, es hatten nicht genügend Personen Platz im Ü-Wagen. Ebenso mit reduzierter Anzahl von Kameras. Das hieß auch: wir konnten manches auch nicht machen, was wir früher schon bei Gottesdienstübertragungen durchexerziert hatten. Etwa

  • Fürbitten werden eingeschickt während der Live-Sendung und in den Gottesdienst eingespeist (Kooperation mit Social-Media Beauftragten Christoph Breit)
  • Oder etwa was unsere ZDF-Kolleg*innen gemacht haben – Beiträge von Konfis zuspielen (Segen, Gebete etc); dazu braucht es einen Bildmischer, der bei „normalen“ Gottesdiensten eingespart wird

Erhöhte Übertragungsfrequenz bei gleichzeitiger Sparpolitik und unter den Bedingungen von doppelten Corona-Sicherheitskonzepten. Das war die Produktionssituation noch bis Ostern 2021.

  • Weitere Erfahrungen mit Übertragungen nach dem 22.3.

Die inhaltlich getroffenen Entscheidungen beim ersten Mal, etwa musikalisch auf Choräle zu setzen, die bekannt sind, haben sich bewährt. Aber kann das jeden Gottesdienst ausmachen, den wir im BR übertragen? Im ZDF gab es Corona-Gottesdienste, in anderen regionalen Programmen auch. Nun sollte doch nicht immer die gleiche „Farbe“ gewählt, zu viel von demselben vorkommen. In einem Gottesdienst am 14. Juni 2020 haben wir eine andere musikalische Farbe gewählt: Gospels, ein Lied aus einem Musical gesungen von einer Soulsängerin, passend zur Noahgeschichte und dem Regenbogen als Zeichen von Gottes Treue. Ja, und Musik, die aus der Lebenswelt der Menschen kommt, nicht unbedingt aus der kirchlichen. Hier gab es sehr unterschiedliche Reaktionen: Begeisterung auf der einen Seite, so einen heiteren Gottesdienst gerade jetzt in der Corona-Zeit erleben zu dürfen – Enttäuschung auf der anderen Seite: Man konnte nicht mitsingen und – da ist nichts mehr Evangelisches dran.

Enttäuschte Erwartungen im Gottesdienst sind nichts Neues. Was mich nachhaltig beschäftigt, ist die Vehemenz, mit der sie geäußert werden. Verwerfungen, durchweg von Menschen, die eine starke Bindung haben an Kirche und sie jetzt durch Corona nicht ausleben konnten.

3. Fazit

Gottesdienst als Kammerspiel – ein bleibendes Format auch jenseits von Corona. Entsprechend der Morgenfeier auf B1 am Sonntag zur Gottesdienstzeit – zwischen 10.00 und 11.00 Uhr, alternierend evang. und kath. – wäre es ein auf das Medium zugeschnittenes Verkündigungsformat, weg von der Übertragung eines Gemeindegottesdienstes. Im BR Fernsehen neben Gottesdiensten mit Gemeindepräsenz denkbar.

Woran es zu arbeiten gilt:

  • Ein Thema – mehrere Ausspielwege. Trimedialität ausbauen

Bewährt hat sich die Kombination Morgenfeier fürs Radio, Gottesdienstkonzept Fernsehen – man kann ein Thema verstärken, vertiefen. Auf der Online Schiene: evtl. mit Kommentarspalte während der laufenden Sendung arbeten?

  • Was ist der ideale Raum für diese Gottesdienstform?

Kirchenraum ohne Kirchenbänke… Oder Chor in die Kirchenbänke

  • Wie kann Resonanz abgebildet werden, wenn Zuhörende, Mitfeiernde nicht sichtbar sind?
  • Das „Heilige“, das Mysterium abbilden: Kerzen anzünden, Gebetszettel an die Krippe, Weihrauch anzünden zur Fürbitte (ökumen.)
  • Wie kommt Bewegung, wie kommt das Fluide des Geistes, die Leichtigkeit und eruptive Kraft des Evangeliums in Bild und Konzept hinein? Gottesdienste sind immer noch zu wortlastig.
  • Ekklesiologische Fragen
    1. Fernsehgottesdienste bilden weniger die Vielfalt der kirchlichen Landschaft ab. Sie sind Gottesdienste für und mit der Fernsehgemeinde
    2. Die Gemeinde ist durch das Medium präsent, räumlich aber getrennt…Was hat das für Auswirkungen auf Gemeindeverständnis?
    3. Vor der Kamera ist ausschließlich Qualität gefragt. Profis bei Musik und Wort. Das kostet bei Musik auch Geld – und vernachlässigt man die Kirchenmusik in der Gemeinde? Wie sehen hier kluge Kooperationen aus?
    4. Welche liturgischen Elemente müssen vorkommen, welche machen überhaupt Sinn, wenn keine Präsenzgemeinde im Raum ist?

Breit, Christoph: Und plötzlich haben alle livegestreamt

Und plötzlich haben alle livegestreamt

Ein Rückblick auf Berührendes und Grottiges

KR Christoph Breit, Leitung Social Media der ELKB

Geistergottesdienste beginnen mit Glockengeläut und Orgelspiel und es vergehen bis zu sechs Minuten ohne große Aktion. Etwas orientierungslos steht dann meist ein Pfarrer im Altarraum. Seine Gemeinde sieht er nicht. „Wir beginnen diesen Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes“ und nein … ich wünsche euch keinen guten Morgen. Weil heute ist der soundsovielte Sonntag nach Irgendwas und wir sammeln unsere Gedanken um ein Wort aus der Schrift. Alltag, sonntags halb zehn in Deutschland. Und dann kam Corona.

Seither werben viele in #digitaleKirche für die Möglichkeiten der Digitalisierung. Und wenn mich jemand im Februar letzten Jahres gefragt hätte, was das tollste ist, was Kirchen den Menschen so zu bieten haben, Gottesdienste wären nicht an erster Stelle gekommen. Musik, Seelsorge, Jugendarbeit, Nähe, Beziehung, Begleitung bei Taufe, Trauung und Tod, Konfirmanden, der Schatz unserer Kirche. Alles toll und erfolgreich! Aber Gottesdienste nach G1? Das klingt so spannend wie Tanzen im Sitzkreis oder Innehalten im Advent. Meine erste These daher: Die Frage nach der Qualität von Online-Gottesdiensten ist keine, die erst mit der Pandemie begonnen hat

„Öffentliche Gottesdienste finden nicht statt“, sagte die Kanzlerin im März 2020 sinngemäß. Es war aus meiner Sicht ein Fehler, als Kirchen da nicht sofort zu widersprechen. Gottesdienste mit körperlicher Anwesenheit finden nicht statt – ja, das dient der Pandemie-Bekämpfung. Aber Gottesdienste können auch digital stattfinden. Auch wenn wir es bald angemerkt haben, das Wording ließ sich nicht ändern. Vielleicht hatten Evangelische auch Angst vor Winkelmessen. Und plötzlich haben alle livegestreamt. Im Folgenden ein Rückblick auf Berührendes und Grottiges.

Am Anfang waren es viele Anfragen von Kirchengemeinden. Wie können wir livestreamen? Was braucht es an Technik? Wie ist das rechtlich? Die wenigen Fachleute der digitalen Kirche waren nun nicht mehr belächelt, sondern gefragt. Die Blogposts zu Livestream wurden abgerufen wie nie. Es konnte der Digitalisierung nichts Besseres passieren als Corona.

Zur Wahrheit gehört aber auch: Diejenigen, die vorher schon gut waren, taten sich leichter. Die, die mutig einfach mal machten, holten schnell auf. Und alle zusammen waren nicht die Mehrheit. Die Quote aller Gemeinden auf YouTube gemessen an der Gesamtzahl lag an den Festtagen Ostern 2020 unter 10 Prozent, steigerte sich bis Weihnachten auf etwa 20 Prozent. Konkret auf YouTube waren das in Bayern 141 Gottesdienste an Heilig Abend 2020 (plus eine Dunkelziffer), viele auch auf Zoom, wenige auf Twitch. Livestream und Gottesdienste waren und sind kein Massenphänomen. Drei Formen lassen sich im Rückblick unterscheiden.

1. Der live gestreamte oder live on tape produzierte Gottesdienst meist nach G1

Zuerst also der „normale“ Gottesdienst mit einem Beispiel aus dem März 2020 vom sehr engagierten Kollegen der Martin-Niemöller-Kirche. Es beginnt wie schon gesagt meist mit Glocke, dann Orgel, wir starten bei Minute 2:09.

https://youtu.be/6pScnpN8u6E?t=129 (bis 3:09)

Vieles ist da klassisch. Handelnde Person ist oft der Pfarrer. Die Technik, hier eine Mevo mit Smartphone gesteuert, ist neu und wird vom Pfarrer selbst bedient, der Ton ist so lala und man begrüßt virtuell zum Sonntag Lätare. Es kann gefragt werden: Ist das das Thema der Menschen an diesem Tag?

Ein halbes Jahr später ist das schon anders. Das Video aus Heilgersdorf ist im Netz nicht mehr zugänglich. Ab Minute 5 ist der Pfarrer zu sehen, der zuerst seine Gemeinde im Stream begrüßt und Gemeinschaft schafft. Den haben seine Jugendlichen überredet, auch live zu streamen und er ist da sehr erfolgreich. Bis 1000 Zuschauer sind live dabei. „Wieso schauen das so viele?“, fragte der Pfarrer in der Gemeinde. „Ich strenge mich da jahrelang an, dass ihr in die Kirche kommt, und jetzt das.“ „Mei Pfarrer,“ ist die Antwort, „wir sehn dich gern, aber so können mia daheim in da Jogginghosen am Sofa bleibn und müssen ned ind Kirch gehen.“ Der Kollege hatte anfangs echte Berufszweifel, konnte sich dann aber mit seinem Erfolg anfreunden. Berührend ist dieses Beispiel, weil hier ein Hauptinteresse an gestreamten Gottesdiensten sichtbar wird: Wir wollen unsere Pfarrer sehen.

Ein drittes Beispiel aus Lauf. Auch hier ist der Pfarrer wichtig.

https://youtu.be/JKrLaJYPsJU?t=11

Berührend ist die hohe Perfektion, die in diesem Gottesdienst steckt. Die Zugriffszahlen von C1 Lauf, so der Name des Channels, sind außergewöhnlich hoch. Die Musik ist eher am Lobpreis orientiert, die Technik perfekt eingesetzt. Kritisch anzumerken wäre, dass die Doppelrolle als Schlagzeuger und Liturg den Pfarrer als Tausendsassa erscheinen lässt. Generell ist zu fragen, wieso so oft Pfarrer:innen vor der Kamera und die Ehrenamtlichen dahinter stehen.

Doch wieso nicht ganz anders? Wieso Glocke und Orgel? Die Matthäuskirche in Augsburg ist von Beginn der Pandemie am Start und baut ihre 50-Jahre-Beton-Kirche zum Studio um. Die Gemeinde wächst seither.

https://www.youtube.com/watch?v=japRVvZi7H8

Das Team um Thomas Bachmann hat hier einen Weg eingeschlagen, der auch nach der Pandemie Bestand hat. Beteiligung von Ehrenamtlichen. Beteiligung über Slido und andere Rückmeldetools.

2. Interaktive Gottesdienstformen auf Zoom oder Instagram

Von Gottesdiensten auf Zoom gibt es naturgemäß nur wenig Videomaterial. Ein sehr berührendes Beispiel ist aus Ansgari in Oldenburg mit dem sehr feinen Kollegen Nico Szameitat das Abendmahl am Gründonnerstag 2020, also recht früh in der Pandemie. Teilnehmen konnte man im YouTube-Livestream und via Zoom, dort auch per Telefon. Meines Wissens war Ansgari damit eine der ersten Gemeinden in diesem Format.

https://youtu.be/FPC3u2eYI64

Aus der Not ein Setting machen. Wenn wir uns alle auf Kacheln zurückziehen, dann lasst uns doch in diesen Kacheln verbunden durch Gott in einer Session gemeinsam feiern. Diese Form hat auf Zoom vielfach zu wunderschönen Gottesdiensten geführt. Auch die Mitglieder der Landessynode haben einen Zoom-Gottesdienst – organisiert in Eigenregie – im Sommer 2020 gemeinsam gefeiert. Eine berührende Form, die aus meiner Sicht neben dem Livestream als digitale Erweiterung des Kirchenraums bleiben sollte. Als Beispiel der Synoden-Gottesdienst aus dem November 2021 mit dem Fürbittengebet, dass Synodale in Zoom übernehmen und Norbert Roth dann Studio textlich aufnimmt. Neu hier die Einbindung der Gemeinde im Bild durch den Monitor

https://youtu.be/EpTSxX7sz7E?t=2965

Exkurs: Das digitale Abendmahl

Spätestens an Gründonnerstag 2020 stellte sich auch die Frage nach digitalen Abendmahl – wahrlich kein neues Thema. Seit vielen Jahren diskutieren wir in der digitalen Kirche darüber. Doch es war ja nie nötig, war ja immer nur eine „g‘spinnerte Idee“ von ein paar Digitalen. Digitales Abendmahl, wie soll das gehen?

Für mich unverständlich konnte sich die EKD im März 2020 nicht auf eine Empfehlung einigen. Die irgendwie privat veröffentlichten Thesen von Thiess Gundlach sorgten zwar für „Klarheit“ im Nein-das-gibt-es-nicht, kamen gewichtig aus Hannover, wurden aber nur als nicht offizielle Meinung gehandelt. Der Landeskirchenrat der ELKB beriet darüber, verschob aber eine Entscheidung. Man wolle darüber lieber in Präsenz beraten. Auch Ostern 2021 gab es da keine klare Linie. Dabei gab es zum Beispiel von Ralf Peter Reimann schon einiges im Blog zum Onlineabendmahl und die Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft e.V. (FEST) in Heidelberg veranstaltete dazu ein Seminar. Mir daraus eindrücklich die These: Jede Abendmahlsfeier bleibt gemessen am Mahl dereinst bei Gott unvollständig. Wieso nicht die Unvollständigkeit nicht auch digital aushalten? Denn das einzige wirklich nicht lösbare theologische Problem ist die fehlende gleichzeitige körperliche Anwesenheit von einsetzender Pfarrer:in mit Brot und Wein bei den Mitfeiernden. Sollte es Gott das nicht ein Leichtes sein, das zusammenzufügen, wo sein Sohn schon virtuell mitten unter uns ist?

Nico Szameitat hat das vorgemacht. Und deswegen noch einen Ausschnitt, wie das zum Beispiel geht. Wichtig, dass auf der anderen Seite vor den Laptops wenn möglich Tischgemeinschaften sitzen.

https://youtu.be/FPC3u2eYI64?t=844

Berührend, nah, gemeinsam, verbunden am Tisch des Herrn via Zoom. Für mich eine der Sternstunden der Pandemie. Danke Nico.

Zwei andere Beispiele dazu. Ein Pfarrer aus dem Kirchenkreis München lässt sich die Abendmahlsfeier live auf YouTube mit den Konfirmand:innen von Dekan und Regionalbischof genehmigen und steht dann mit Saftglas und Brötchen am Bistrotisch. „Ich hab ja euch vorher gesagt, was ihr jetzt zu Hause tun sollt.“ Hinterher wird das Video gelöscht. Auch das ist dann irgendwie „nicht öffentlich“. Doch was wird da vermittelt. Wer genehmigt diese Form? Was heißt online? Und was wird sich daraus entwickeln?

Andere sind da mutiger. Sie übertragen live ihr Abendmahl mit Austeilung. Wie viele in der Kirche sind, wird nicht klar. Wir sind Zaungäste und bleiben Zuschauer. 17:10

https://youtu.be/LlMmDwRfZmM?t=1180 (Min. 17:10)

Neben dem Ton ist hier vor allem die Jugendliche, die mir leid tut. Sie taucht im Video des Gottesdienstes nur hier auf und lässt viele Fragen offen. Pfarrerskinder? Konfirmandin? Man weiß es nicht.

3. Kürzere Videos, die sich von Andachtsformen immer mehr zum Clip entwickelten

Bei den Gottesdiensten auf Instagram möchte ich Ihnen zwei Beispiele zeigen. Nicolai Opifanti aka @pfarrerausplastik hat mit einer Kollegin den InstaGoDi entwickelt. Er läuft im Format InstaStories, also hochkant, in 15-Sekunden-Clips. Zum Beispiel so

https://www.instagram.com/stories/highlights/17865051758177383/

Gelungen finde ich hier die Bildsprache und den Mut, zwei Pfarrer:innen in ein Hochkant zu packen. Dazu gute Livemusik und die wesentlichen Gottesdienstteile neu interpretiert.

Deutlich anders das fak-Kollektiv, das feministische Andachtskollektiv, dass viele Kolleg:innen unter einem Dach vereint und Andachten grundsätzlich gemeinsam produziert. Auch hier im Format InstaStorys. Besonders ist hier das wechseln der Host:innen: die Andacht wandert durch die Kanäle.

https://www.instagram.com/stories/highlights/17901349660938316/

Zuletzt: Videos, die das Gottesdienstformat neu interpretieren und als kurze Videos daherkommen. Hier spürt man deutlich den Mut der Produzent:innen, umzustellen und neues zu wagen und doch die Bildsprache und Form der Tradition zu wahren.

https://www.youtube.com/watch?v=16ULUX-xErg

Das Team der Lorenzkirche hat in der CoronaKrise ihre Alltagsandachten aus der Kirche ins Digital verlegt. Besonders gelungen: der Einstieg gleich mit dem Thema. Und das ganze immer unter 20 Minuten. Kameramann ist hier auch ein Profi: Hans Batz

Der Pfarrerei Altertheim gelingt mit ihren Videos eine besondere Qualität. Ja, der Pfarrmann ist aus der Fernsehbranche. Aber man muss es auch machen.

https://youtu.be/FzwXzRNcHcU?t=287

Das letzte Beispiel ist St. Lukas in München. Dort ist es mit Jürgen Biefang ein Profi, der die Videos macht. Diese Qualität gesendet aus 20 Kirchen in Bayern würde uns wirklich weiterbringen.

https://youtu.be/yUBxTCWvLx4

Soweit die Beispiele. Ich hätte genug gehabt für eine lange Nacht der Online-Gottesdienste

Ein Fazit

Tausende Gottesdienste, Andachten, Kindergottesdienste und Konzerte auf YouTube: Kirche war noch nie so lebendig und kreativ. Dazu viele kreative Ideen der Kirchengemeinden. Kirche lebt. Aber sie kann sich und kann das nicht verkaufen. Auch der Titel dieser Veranstaltung ist ja nicht wirklich werbend für das Thema.

Vor Corona haben mehr Menschen unter der Woche eine Kirche besucht als am Sonntag. In Corona haben sich die Zuschauerzahlen der Fernsehgottesdienste vervielfacht – auch dank der wundervollen Arbeit der Kolleg:innen. Digitale Liedblätter haben das Mitfeiern ermöglicht, in der Osternacht 2020 mit Heinrich Bedford-Strohm wurde das Liedblatt für Tablet und Handy 8.000 Mal abgerufen. Alle Gottesdienste sammeln wir in der Social Media-Redaktion der ELKB seit März 2020 in einer YouTube-Playlist, die tausendfach abgerufen wird. Lebendige Vielfalt.

Mein Wunsch: Bewahren wir Berührendes. Lernen wir aus Grottigem. Und kehren wir bitte nicht mehr zurück zu einem „Jetzt machen wir alles wieder so wie früher“. Das wäre der Tod im Topf. Und der Herr hätte uns vergeblich auch diese Wege geführt. Ich danke für die Aufmerksamkeit.

Kühn, Jonathan: Vom Profi-Studio über den Wohnzimmer-Gottesdienst bis zum Freiluftabendmahl

Vom Profi-Studio über den Wohnzimmer-Gottesdienst bis zum Freiluftabendmahl

Wenn Jana glaubt, Gunnar improvisiert und die Beutelsbacher den Weinberg besteigen

Jonathan Kühn

1. Modi des online Herumgeisternden

  • weites Feld online vorfindlicher „Gottesdienste“ (audiovisuelle Glaubenskommunikation)
    • schier unüberschaubare Zahl
    • teils lange Tradition, teils Start mit „Corona“ (Frühjahr 2020)
    • buntes Spektrum:
    • Trägerschaft: amtskirchlich, freikirchlich, Individuen mit und ohne (explizite) institutionelle Beauftragung
      • Format/Rahmung: Teil einer Social-Media-Strategie, YouTube-Kanal mit regelmäßigen Neuveröffentlichungen, Punktuelles in riesigen Abständen…
      • räumlich: aus Kirchengebäuden und Privaträumen (von Küche bis Studierstube), aus dem Park und vom Strand…
      • zeitlich: synchrone Übertragung als „Live-Event“ oder asynchrone Bereitstellung einer Aufzeichnung (ggf. als „Premiere“)
      • gestalterisch: „klassische Liturgie“ (G1), Couch-Plauderei, Choräle oder Pop-Musik…
      • Mediatisierungsgrad: vom „abgefilmten“ Gottesdienst bis „typisch YouTube“
      • …
  • Hilfreich für Orientierung: YouTube-Playlist „Kirche während Corona“ von Selina Fucker, über 1.000 Einträge (16.6.2021)
    https://www.youtube.com/playlist?list=PLwaRwXQ36qDvkhEPjds2ERcZhMo42AFg9
  • Beispiele für verschiedene Formate, v.a. hinsichtlich der Partizipationsmöglichkeiten, nicht im Sinne liturgischer Grenzziehungen zwischen Andacht, „Impuls“, Gebet(szeit), Gottesdienst…
  • notwendig spezieller Zugriff (auf im Feld „Naheliegendes“)
  • Annäherung über Modi: vier Kategorien

a) nur online, ohne synchrone Beteiligungsmöglichkeit

    • Beispiel 1: Traunstein (02:08-02:42, https://youtu.be/eBSCoJoEHZw?t=128)
      • Voraufzeichnung (sehr professionell)
        – schlichter Aufbau: Harfenklänge rahmen liturgischen Textteil
        – intensive Nutzung des Kirchenraums (in Bild und Ton)
        – Anrede der „Gemeinde“ Sender-Empfänger-Modell
        – Einbettung: insgesamt sechs Videos des Kanals (11.6.2021)
        – Bereitstellung für asynchronen Abruf, prinzipiell noch in Jahren „konsumierbar“ (Parallele: Sender-Mediathek)
    • Beispiel 2: Traisa(06.13-06.54, https://youtu.be/lGWV1FrGbqQ?t=373)
      • vielseitige (stimmige) Bildkompositionen
      • musikalische Vielfalt: Rahmung, Solo-/Ensemble-Gesang
      • Einbettung: 46 Kanal-Videos, von „Osterfischli“ (Kindergarten) bis Live-Gottesdienst (11.6.2021)
      • Verschränkungen im Kanal: Kirchen-und virtueller Raum, private und öffentliche(re) Sphäre
    • Beispiel 3: Entenberg –Andachten zur Osterzeit 2020
      – schlichter Aufbau
      – rahmende Inszenierung qua Ortswahl
      – Musik: ausgesprochen unaufwändig
      – Einbettung: insgesamt 38 Kanal-Videos (31.5.2021), vom Waldgottesdienst bis Kindergottesdienst an Heiligabend
      – vielseitige Integration des Lokalkolorits
    • Beispiel 4: „Jana“ im Studio (00:00-00:39, https://youtu.be/jKTRzP7uExU)
      • Glaubenskommunikation im kirchlichen Auftrag (GEP/aej)
      • Einbettung: Themenvideoformat „Wir“ (eine) tragende Säule von „Jana“ (185 Videos, weiteres Kernformat „Vlog“)
      • Personalisierung gemäß YouTube-Eigenlogik (Vlogger/Influencer), zugleich kirchlich-redaktionelle Begleitung
      • Kanal insgesamt und „Wir“-Videos als Crossover (Andacht/Kurzpredigt/Ratgeber/Autobiografie…)
      • Interaktionsmöglichkeiten zwischen Community und Influencerin, jedoch: prinzipiell nicht synchron, sondern durch Kommentare/Nachrichten („Q&A“ etc.)
    • Beispiel 5: „Jana vloggt“ (07:39-08:29+13:32-14:09, https://youtu.be/E26ihVM7vQQ)
      • Darstellung individueller religiöser Praxis (Modelllernen?)
      • Integration des Formats „Online-Gottesdienst“ (ICF Zürich) in Influencer-Onlinekanal
      • Personalisierung als Element der Mediatisierung des Religiösen (Branding A. Hepp zum XX. WJT) in besonders pointierter Form
    • Beispiel 6: Wanderup (03:14-04:41, https://youtu.be/Bsm5jujBFJ4?t=194)
      • Kombination „digitale“ und „analoge“ Gemeindearbeit auf dem Land (bei Flensburg)
      • Einbettung: „Marke“ Pastor Gunnar Engel, 196 Videos und 16.200 Abonnenten (Stand: 2.6.2021), mehrere etablierte Formate (BibleStudy, „Frag den Pastor“…)
      • starke Personalisierung (Dorf-und „YouTube-Pastor“)

b) nur online, mit synchroner Beteiligungsmöglichkeit

    • Beispiel 1: Lübeck (24:03-24:46, https://youtu.be/seyCLg-UNkE?t=1443)
      • Fürbitten über E-Mail u.a. Wege einspielbar
      • Zusammenspiel aus Akteuren im Kirchenraum und „Zugeschalteten“ Amalgam aus Gottesdienst und Talkshow (im Stil „Zuschauerin Alexandra schreibt…“)
      • Einbettung: zahlreiche Kanal-Videos, mehrere etablierte Formate (liveline, livelineKOMPAKT, Mutwort…)
      • Kooperation mit BibelTV
      • Professionelle Rahmung, inkl. „Behind theScenes“ (Anfang des Beispielvideos)
    • Beispiel 2: Wanderup (01:02:23-01:02:49, https://youtu.be/giGXQl6L-Ok?t=3743)
      • Live-Stream des Gottesdienstes mit Chatfunktion (offenbar mindestens ein Einspieler voraufgezeichnet)
      • Spontan-Aufnahme von Fürbitten (Reformulierung)
      • liveline-Prinzip als „Ein Mann“-Version
      • Aufruf zum weiteren Fürbitten nach Gottesdienst
      • Privaträume (Pfarrhaus) und Kirchenraum (Lesung)
    • Beispiel 3: Augsburg (32:02-32:38, https://youtu.be/j5Shn9wi0p8?t=1922)
      • Live-Stream mit hohem technischem Aufwand
      • Einbettung: 187 Videos (2.6.2021), von Ostergruß bis Gottesdienst mit Talk
      • Chatverlauf während des Gottesdienstes, Beteiligung per Slido am Predigtgeschehen (Umfrage) und beim Talk im Anschluss an den Gottesdienst („Tommy“ stellt sich Zuschauerfragen)

c) hybrid, ohne synchrone Beteiligungsmöglichkeit

    • Beispiel 1: Bamberg (41:04-41:38, https://youtu.be/c0KN9ym_UZE?t=2464)
      • Live-Stream des Gottesdienstes mit hoher Datenschutz-Sensibilität
      • ausgewiesener Mehrwert der Aufnahme (Bilder von Kirchenraumelementen) auch für „Offliner“ im Nachhinein ein „Plus“
      • Chatfunktion aktiviert (offenbar nicht genutzt)
      • kein Kontaktkanal der „Onliner“ in den Offline-Bereich
      • jedoch: Verschmelzen beider Sphären im Anschluss (Zoom-Konferenz als Kirchenkaffee-/Essengehen-Substitution)
      • Einbettung: viel(fältig)e Kanalvideos, Neujahrs-Gottesdienst mit 1.199 Klicks (1.6.2021) Spitzenreiter
    • Beispiel 2: Dousman, Wisconsin (https://youtu.be/Z0kf500o1d0?t=1391)
      • Einbettung: 248 Video (2.6.2021), von „Ask anything“ bis zu ganzen Gottesdiensten
      • klassische amerikanische Kleinstadt-Gemeinde (EPC)
      • keine Chat-Nutzung/sonstige Kontaktmöglichkeit während des Geschehens

d) hybrid, mit synchroner Beteiligungsmöglichkeit

    • Beispiel: Augsburg (57:30-57:55, https://youtu.be/EDoi25v2Wuk?t=3450)
      • Kommunikative Verbindung von leiblich kopräsenter Versammlung und „Onlinern“
      • nachdrückliche Aufforderung an Onliner, sich mit Fragenstellen zu beteiligen

2. Liturgische Transformationsprozesse

    • Beispiel: Durham, North Carolina, 11/2018 (49:40-50:18, https://youtu.be/UA48o-DTxc8?t=2980)
      Einbettung: 1.713 Kanal-Videos (3.6.2021), von Kurzmitteilungen über „Baccalaureate“ (DivinitySchool) und „Jazz Vespers“ bis zu Sonntagsgottesdiensten
      • Umstellung durch Pandemie-Situation: von Hybrid auf „online only“ (für 14 Monate, erst seit 23.5.2021 wieder als „Hybrid“):
        • nur kleine Zahl liturgisch Aktiver im Kirchenraum
        • andere Kameraperspektiven
        • weit mehr Einspieler/Einblendungen als zuvor: Liedtexte und Notenzeilen, Gebetsantwortformel…
        • Wandlung der Medialität: „Onliner“ werden von „Bystanders“ zum (quasi) einzigen Gegenüber
      • vor Pandemie-Sondersituation „duale Medialität“: Gottesdienst für/mit Menschen „vor Ort“ und „am Display“ bzw. „am Radio“
      • Berücksichtigung der entsprechenden Partizipationsformen (Kameraperspektive: was Externe wie zu sehen bekommen)
      • faktisch jedoch eine gewisse Nachordnung der externen Zielgruppe (Tagung der Societas Homiletica im Sommer 2018)
      • während Pandemiesituation für 14 Monate völlig anderer Modus: „online only“; vielerlei Adaptionen, etwa Einführung eines „Online Pastors“
    • Beispiel: Durham, North Carolina, 12/2020 (01:02:42-01:03:32, https://youtu.be/LOwFsQPLeS4?t=3762)
      • Aufforderung an Online-Gemeinde, entweder „ganz“ mitzufeiern („fully participate“) oder „spirituell“; analog zu manchen Einladungen bei leiblicher Kopräsenz
      • Betonung der „Simultanität“ des Kommunizierens; Nach(mit)vollzug offenbar nicht vorgesehen

3. Sonderfall I: (besonders) Innovatives

    • Beispiel 1: Leipzig (22:26-24:48, https://youtu.be/RTfktNXFZhw?t=1346)
      • Erfahrungen:
        m, Sänger und ärztlicher Helfer Impfungen
        w, Hausärztin in einer Corona-Schwerpunktpraxis
        m, Oberbürgermeister der Stadt Leipzig
        m, Durchblick e.V. für Psychiatriebetroffene
        w, Bestatterin
        m, Pflegefachkraft im ambulanten Hospizdienst
        w, ehrenamtliche Stadtführerin
        w+w, Erleben von Jugendlichen
        m, Leiter eines Alten-und Pflegeheims
        m, Wirt der Vodkaria
        w, Pfarrerin aus Südamerika
        m, stationsleitender Pfleger auf der Covid-19-Station im Diakonissenkrankenhaus
        w, Sozialarbeiterin in der Oase und im Teekeller, Wohnungslosenhilfe
        m, Schulleiter des Evangelischen Schulzentrums
        m, im Dezember an Corona erkrankt
        w, Mitarbeiterin im Südcafé, aktuelle Situation von Flüchtlingen
        w, arbeitet und betreut ein Kindergartenkind zu Hause
        w, bis Dezember 2020 Studentin
        w, Abschied und Tod in Zeiten der Pandemie
        w, Sozialpädagogin und Schulbegleiterin
        w, technischer Support IT, seit März 2020 im Homeoffice
        m, freiberuflicher Musiker
    • Beispiel 2: Zürcher Landeskirche (00:00-02:05, https://youtu.be/hw_x1OhpGZU)

3. Sonderfall II: Sakramente

    • Beispiel 1: Beutelsbach (42:21-43:12, https://youtu.be/dIegC7fRUY4?t=2541)
    • Beispiel 2: Second Life (07:07-10:05, https://youtu.be/N_88DBmdnNA?t=427)

Literaturhinweise

Kühn, Jonathan, Celebrating Conversion. Mehrdimensionale Konversionsprozesse beim ICF München, in: Praktische Theologie. Zeitschrift für Praxis in Kirche, Gesellschaft und Kultur, 54. Jg. (2019), Heft 4, 212-216

Ders., Christliche Verkündigung im Internetzeitalter und ihre gemeindepädagogischen Potenziale, in: Böhme, Thomas et al. (Hg.), Digitale Bildung und religiöse Kommunikation. Religions-und gemeindepädagogische Perspektiven, Münster 2020, 108-112

Ders. Simojoki, Henrik, Kommunikation des Evangeliums und Populäre Religion. Annäherung an ein Spannungsverhältnis am Beispiel des YouTube-Kanals „Jana glaubt“, in: Zeitschrift für Religion, Gesellschaft und Politik (2021), https://doi.org/10.1007/s41682-021-00067-z

Verstegen, Ute: On Screen. Zur bildmedialen Inszenierung des Gottesdienstes im Digitalen